Ecce Homo

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6000 Fuß über dem ...

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Lou

Zarathustra

Die Umwerthung

Finale

Der Untergang

Siechthum

Tod

 

6000 Fuß über dem Meere

Nietzsche bezeichnet Sils-MariaSils Maria als die Geburtsstätte seines Zarathustra. In 'Ecce Homo' wird er schreiben: "Ich erzähle nunmehr die Grundconception des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann, gehört in den August des Jahres 1881: es ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: "6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit". Ich ging an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder, bei einem mächtigen pyramidal aufgetürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke." Nietzsche erlebt, trotzdem er auch in Sils Maria von Krankheitsanfällen nicht verschont bleiben wird, im Engadin sein alles weitere Philosophieren bestimmendes Inspirationserlebnis. An Köselitz schreibt Nietzsche im über alle Maßen denkwürdigen Brief vom 14. August 1881: "Schon ein Paarmal konnte ich das Zimmer nicht verlassen, aus dem lächerlichen Grunde, daß meine Augen entzündet waren - wodurch? Ich hatte jedes Mal den Tag vorher auf meinen Wanderungen zuviel geweint, und zwar nicht sentimentale Thränen, sondern Tränen des Jauchzens; wobei ich sang und Unsinn redete, erfüllt von einem neuen Blick, den ich allen Menschen voraus habe." Da ist es, das dionysische Erlebnis, welches seit der 'Geburt der Tragödie' Nietzsches Thema ist - die heilende Entgrenzung oder was er 'Verzückungsspitze' nennt!

Endlich erhält Nietzsche auch die Nachricht, daß die 'Morgenröthe' veröffentlicht ist. Dieses Werk, so Nietzsche im August 1881 an seinen Vertrauten Overbeck: "ist ein Anfang meiner Anfänge - was liegt noch vor mir! auf mir! irgendwann werde ich genöthigt sein, auf ein paar Jahre von der Welt förmlich zu verschwinden - alle meine Vergangenheit und menschlichen Beziehungen, und Gegenwart, Freunde, Verwandte, Alles, Alles mir aus dem Sinn zu schlagen." Das ist ein Vorgehen, das Zarathustra später stellvertretend erfüllen wird.

Nietzsche, Baruch de Spinozader leidenschaftliche Leser, läßt sich von Overbeck mit Literatur aus verschiedenen Fachrichtungen versorgen, entdeckt zufällig voller Enthusiasmus in Spinoza seinen philosophischen Vorgänger. In einem Brief an Overbeck schreibt Nietzsche im Juli aus Sils Maria: " (...) - in fünf Hauptpunkten seiner Lehre finde ich mich wieder, dieser abnormste und einsamste Denker ist mir gerade in diesen Dingen am nächsten: er leugnet die Willensfreiheit -; die Zwecke-; die sittliche Weltordnung -; das Unegoistische -; das Böse -; (...). In summa: meine Einsamkeit, die mir, wie auf ganz hohen Bergen, oft, oft Athemnot machte und das Blut hervorströmen ließ, ist wenigstens jetzt eine Zweisamkeit. - Wunderlich!"

Nietzsches Bedürfnis nach Einsamkeit, um denken zu können, zeigt sich, als ihn Rée in Sils Maria besuchen will. In einem Brief vom 18. August 1881 an die Schwester gibt er über das Kommen des Freundes, das Nietzsche vollkommen unerwünscht ist, Auskunft: "Ich bringe es nicht über´s Herz, Herrn Dr. Rée abzutelegraphieren: obwohl ich jedermann, der meinem Engadiner Arbeits- Sommer d.h. die Förderung meiner Aufgabe, meines "Eins ist noth" unterbricht, als meinen Feind betrachte." Schließlich wird Nietzsche doch absagen.

Wie sehr sich Nietzsche auf seine Aufgabe vorbereitet, zeigt eine kleine, überaus bemerkenswerte Episode: Nietzsche erkundigt Nietzsches Schreibmaschinesich bei dem dänischen Erfinder der Schreibmaschine, ob eine solche Maschine für seine Zwecke geeignet ist. Zunächst scheitert der Erwerb der Schreibmaschine am hohen Anschaffungspreis. Im Januar des folgenden Jahres 1882 wird ihm von seiner Schwester die so sehr gewünschte Schreibmaschine geschenkt - diese existiert noch heute. Nietzsche versucht sich also Bedingungen zu schaffen, die auch den Abschreiber der unleserlichen Handschrift und Korrekturhelfer Heinrich Köselitz überflüssig machen.

Gegen Ende des dreimonatigen Aufenthalts verschlechtert sich Nietzsches gesundheitlicher Zustand wieder - alle dionysischen Erfahrungen verbessern seinen Gesundheitszustand insgesamt nicht. Resigniert schreibt Nietzsche im September, kurz vor der Abreise ins Winterdomizil Genua: "(...) ich habe in summa hier oben 10 erträgliche Tage gehabt, und die schlimmen Tage brachten Zustände so grässlich als ich sie in Basel erlebt habe." Er zweifelt, wie er kurz danach aus Genua schreibt, generell daran, ob ihm die Berge zuträglich sind: "Fast fürchte ich, mir einzugestehn, daß Recoaro und Engadin endgültige Widerlegungen meiner Bergaufenthalte sind (wegen der größeren Nähe der Wolke)", doch Nietzsche wird mit Ausnahme des folgenden Jahres bis 1887 jeden Sommer nach Sils Maria zurückkehren, wo er "6000 Fuß über dem Meer" vielleicht die intensivste und bedeutendste geistige Erfahrung seines Lebens gemacht (der Wiederkunftsgedanke)und die zentrale Figur des Zarathustra entdeckt hatte, deren historische Wurzeln in Persien liegen.


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