Ecce Homo

Der Aufstieg

Kindheit

Schulzeit

Studium

Professur

Der Wanderer

Heimatlos

Lou

Zarathustra

Die Umwerthung

Finale

Letzte Wege

Das Ende

Der Untergang

Siechthum

Tod

 

Letzte Wege

Sils-Maria 1889Friedrich Nietzsche, der Wanderer, wählt im letzten Jahr seines bewußten Lebens 1888 (im Frühjahr wie ab September bis schließlich Januar 1889) Turin als seinen Bleibeort aus. Den Sommer verbringt er ein letztes Mal in Sils Maria, nach Turin war er von Nizza gekommen. Über Turin schreibt er im April 1888 in Briefen anläßlich seines ersten Aufenthaltes: "Das ist wirklich eine Stadt, die ich jetzt brauchen kann" und "Die Stadt ist mir auf eine unbeschreibliche Weise sympathisch" Nietzsche hat einmal mehr einen Ort gefunden, von dem er glaubt, daß er seinem ewig maladen Körperzustand zuträglich ist, einen 'wahren Glücksfund', wie er an die Mutter schreibt.

Georg BrandesDer Aufenthalt ist auch aus einem anderen Grund mit einem für Nietzsche glücklichen Umstand verbunden. In Turin erfährt er, daß der Philosoph Georg Brandes an der Kopenhagener Universität einen 'Cyclus öffentlicher Vorlesungen' über den 'deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche' veranstaltet. Nietzsche, der in Briefen an seine Freunde zwar häufig spöttisch damit umgeht, daß er so gut wie keinen Erfolg hat, leidet doch zugleich darunter. Er nimmt jede öffentliche Beschäftigung mit seinem Werk wahr - ab Herbst 1888 interpretiert er vereinzelnde Nachrichten über die Wirkung seines Werkes euphorisch.

Wie sehr er unter der mangelnden Wirkung und Unverständnis litt, zeigen seine letzten Werke. Sowohl 'Ecce homo' als auch 'Nietzsche contra Wagner', beides Werke aus den letzten Monaten vor der totalen Nacht, sind einerseits davon geprägt, das eigene Selbstverständnis zu formulieren, andererseits unmißverständliche Rufe danach, von seinen Lesern nun richtig verstanden zu werden. Hier beschreibt Nietzsche, daß nicht Richard Wagner, sondern eben ihm selbst (als Schreiber des Zarathustra) die Rolle zufällt, eine radikale geistige Erneuerung geleistet zu haben, dort der Versuch, das eigene Selbstverständnis letztgültig zu fassen(z.B. Kapitelüberschriften 'Warum ich so weise bin'- 'Warum ich ein Schicksal bin' usw.).

Hippolyte TaineKennzeichen dieses Wunsches, endlich richtig verstanden zu werden und als der genommen zu werden, als der er sich selbst versteht, zeigt Nietzsche auch in seinen Briefen z.B. an Malwida von Meysenbug: Nietzsche schreibt: "Ich habe allmählich fast alle meine menschlichen Beziehungen abgeschafft, aus Ekel darüber, daß man mich für etwas Andres nimmt als ich bin". Nietzsche versucht in dieser Phase, sich vor Vereinnahmungen von falscher Seite dezidiert schützen zu wollen. Wie vergeblich, das wissen wir! Er bezeichnet sich als 'Welterlöser' - einerseits konsequent, andererseits erstes Zeichen der kommenden Katastrophe. Nietzsche ahnt nun sein tragisches Schicksal. Der Dramatiker Strindberg, der Schriftsteller H. Taine, die Nietzsches Rang anerkennen und fördern, werden von Nietzsches mit Lob bedacht. Die Wirkungslosigkeit seiner Schriften wendet Nietzsche nun in das Gegenteil - schon jetzt, noch vor dem totalen Zusammenbruch und den manifesten Zeugnissen, den Wahnsinnszetteln, konzipiert Nietzsche Briefe an den deutschen Kaiser, an den Fürsten Bismarck. Dabei fühlt sich Nietzsche gesundheitlich wohl, im höchsten Maße euphorisch (manisch?) ist seine Stimmung im Herbst 1888.

Am 13. November 1888 schreibt er an seinen Freund Franz Overbeck: "Es geht fort und fort in einem tempo fortissimo der Arbeit und der guten Laune." Kräftezehrend wirkt ein Streit mit seinem früheren Verleger E.W. Fritzsch, dem er die Rechte für seine früheren Werke abkaufen will. In einer Zeitschrift, die Fritzsch (der Verleger der Werke Wagners, was die Sache höchst pikant macht) auch herausgab, war ein Artikel über Nietzsche erschienen, den Nietzsche in einem Brief als 'haarsträubende Taktlosigkeit' bezeichnete. Das Vorhaben des Rückkaufs scheitert, weil Nietzsche nicht genügend Geld (10.000 Thaler) aufbringen kann - wie wichtig ihm dieser Rückkauf war, zeigt, daß er sich nicht nur von Overbeck, sondern auch Deussen Geld leihen wollte. 'Ecce Homo' deutet im Titel an, daß Nietzsche sich in den späten Herbsttagen auf einen 'Opfergang' vorbereitet - es scheint, als würde er sein Werk und seine Person (die er immer als eines sah) definitiv deuten wollen, um dann die Tragödie zu beenden.


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