Die Briefe Nietzsches nach dem Weggang aus Basel geben Auskunft über verschiedene geplante Projekte. Neben Reiseplänen, die dann nicht umgesetzt werden (z.B. Sorrent, welches wegen Wagners Anwesenheit schließlich nicht in Frage kommt, Barcelona, Tunis, Griechenland, Korsika), ist besonders eine verzweifelte Idee zu nennen: der Rückzug als Gärtner nach Naumburg (Epikur und vermutlich Voltaires Candide im Hinterkopf). In einem Brief vom 30. September 1879 heißt es: "Ich habe der Stadt Naumb. ein kleines burgartiges Stück der mittelalterl. Stadtbefestigung abgepachtet, um hier Gemüse zu bauen - auf 6 Jahre (! -!), wie es Brauch ist. (...) Ich habe 10 Obstbäume, Rosen Lilien Nelken Erdbeeren Stachel- und Johannisbeeren. Im Frühjahr geht meine Arbeit an, auf 10 Gemüsebeeten." Nicht ganz zwei Wochen später wird ihm die Unmöglichkeit des ganzen Vorhabens klar und an Overbeck schreibt er, daß er glücklicherweise den Pachtvertrag ohne Probleme wieder losgeworden ist: "Das Beste der ganzen Geschichte, die Erwartung habe ich gehabt." Nietzsche wird den Winter 1879/80 in Naumburg bei der Mutter verbringen, im Frühjahr aber nach Italien aufbrechen, um seine, wie Nietzsche selbst in einem Brief ironisch schreibt, "Spaziergehe-Existenz" aufzunehmen und um den treuen Helfer Heinrich Köselitz zu treffen. Nietzsche reist zunächst für einen Monat nach Riva am Gardasee, wo er mit den ersten Aufzeichnungen zur 'Morgenröthe' beginnt. Hier trifft er auf Köselitz, mit dem er dann bis Juni 1880 nach Venedig übersiedelt. In der Lagunenstadt, gegenüber der Friedhofsinsel logierend, setzt Nietzsche seine Arbeit an einem neuen Aphorismenband fort. Zunächst plant Nietzsche als Titel 'L´ombra di venezia', schließlich will er das Buch 'Die Pflugschar' nennen und erst kurz vor der Veröffentlichung gibt er seinem Werk den endgültigen Titel 'Morgenröthe - Gedanken über moralische Vorurtheile'. Im Titel, der gleichnishaft einen neuen Sonnenaufgang ankündigt, klingt sein Programm einer Umwertung aller Werte und der "Selbstaufhebung der Moral" an, wie Nietzsche im Vorwort der zweiten Auflage der 'Morgenröthe' 1886 schreibt. Im Juni 1880 reist Friedrich Nietzsche weiter in den Kurort Marienbad - hier verbringt er, incognito "als Lehrer aus Naumburg" in der Fremdenliste geführt, den Sommer. Über sein Denken und Befinden schreibt Nietzsche in einem Brief am 20. August 1880: "(...) in summa bin ich aber mit Venedig und Marienbad zufrieden. Es ist gewiß hier seit Goethe noch nicht so viel gedacht worden, und auch Goethe wird nicht so prinzipielle Dinge sich haben durch den Kopf gehen lassen - ich war über mich selber weit hinaus." Hauptsächlich denkt Nietzsche prinzipiell über eine Kritik an den Grundlagen der 'christliche Moralität' nach, wie er an seinen Freund Franz Overbeck schreibt. Die nächste Station nach Marienbad ist Naumburg, wo er den Herbst verbringt. Overbeck berichtet in einem Brief an Heinrich Köselitz über einen erfreulichen Besuch bei Nietzsche in Naumburg: "Seit Jahren sprach er selbst zum ersten Male wieder von der Möglichkeit seiner Wiederherstellung und sah in der That erstaunlich wohl aus im Verhältnis zum Umstande, in welchem ich ihn zuletzt August 79 in St. Moritz gesehen hatte." |