Ecce Homo

Der Aufstieg

Kindheit

Schulzeit

Studium

Professur

Der Wanderer

Heimatlos

Lou

Sternenfreundschaft

Nietzsche küßt?

Tautenburger Idyll

Brüche

Zarathustra

Die Umwerthung

Finale

Der Untergang

Siechthum

Tod

 

Nietzsche küßt?

Zunächst plant die 'Dreieinigkeit' aber einen Aufenthalt an dem norditalienischen Orta - See. Da Nietzsche erkrankt und von Rée gepflegt werden muß, trifft sich die 'Dreieinigkeit' (ergänzt durch die Mutter Lous, die dem Willen der Tochter vollkommen ausgeliefert ist und Anstandsdame zu spielen hat) schließlich Anfang Mai am Orta - See, etwa 15 km westlich vom Lago Maggiore. Hier kommt es am 5. Mai 1882 anläßlich eines Ausflugs zum nahegelegenen, dem hl. Monte SacroFranz von Assisi geweihten Monte Sacro zu einem Erlebnis, daß nur angedeutet werden kann. Nietzsche und Lou Salomé halten sich, das hatten Zufälle ergeben, länger als vereinbart zu zweit allein in den Hügeln oberhalb des Ortes Orta auf. Bei diesem Spaziergang und den dabei geführten Gesprächen waren sich Nietzsche und Lou ganz offensichtlich näher gekommen; wie nahe? Küßten sich die beiden oder nicht - das ist hier keine Frage. Lou berichtet über diesen Zwischenfall: "Wir machten zusammen zwischendurch Station, z. B. in Orta an den oberitalienischen Seen, wo der nebengelegene Monte sacro uns gefesselt zu haben scheint -, wenigstens ergab sich eine unbeabsichtigte Kränkung meiner Mutter dadurch, daß Nietzsche und ich uns auf dem Monte sacro zu lange aufhielten, um sie rechtzeitig abzuholen, was auch Paul Rée, der sie inzwischen unterhielt, sehr übel vermerkte." Als Lou später nach den Mai - Stunden mit Nietzsche gefragt wurde, gab sie die feinsinnige Antwort: "Ob ich Nietzsche auf den Monte sacro geküsst habe - ich weiß es nicht mehr." Ob sie sich geküsst haben oder nicht, bleibt zum Glück ihr Geheimnis - daß die gemeinsamen Stunden auf dem Monte Sacro aber für Nietzsche eine besondere Bedeutung haben, zeigt einmal sein stabiler Gesundheitszustand (den die Overbecks bei einem Kurzbesuch Nietzsches aus Luzern sofort wahrnehmen), zum zweiten kommt Nietzsche in Briefen an Lou immer wieder auf dieses Erlebnis zurück und drittens scheint es seinen Mut gesteigert zu haben, Lou Salomé schließlich sogar einen zweiten Heiratsantrag zu machen.

Zunächst reist Luzerndie 'Dreieinigkeit' aber nach Luzern - Nietzsche unternimmt von dort mit Lou Salomé einen Ausflug nach Tribschen, wo er knapp zehn Jahre zuvor häufig Gast im Hause Cosima und Richard Wagners war. Sie berichtet über diesen Besuch in ihren Erinnerungen: "Lange, lange sass er dort schweigend am Seeufer, in schwere Erinnerungen versunken; dann mit dem Stock im feuchten Sande zeichnend, sprach er mit leiser Stimme und von jenen vergangenen Zeiten. Und als ich aufblickte, da weinte er." Nietzsche, der Apologet der vornehmen Distanz, öffnet sich vielleicht einem Menschen, wie er es danach nie wieder tun wird. Er ist verliebt. Darauf fährt Nietzsche zu dem schon erwähnten Kurzbesuch nach Basel zu der befreundeten Familie Overbeck, die er ausdrücklich darum bittet, die Bekanntschaft mit Lou Salomé geheim zu halten. Schon vor dem Besuch in Basel scheint Nietzsche den Entschluß gefaßt zu haben, Lou ein weiteren Heiratsantrag zu machen. Sie schreibt über dieses Ereignis: "Nachdem wir Italien verlassen, machte Nietzsche einen Sprung nach Basel zu Overbecks, kam aber von dort gleich nochmals mit uns in Luzern zusammen, weil ihm nun hinterher Paul Rées römische Fürsprache für ihn ungenügend erschien und er sich persönlich mit mir aussprechen wollte, was dann am Luzerner Löwengarten geschah. Gleichzeitig betrieb Das Löwendenkmal von TorvaldsenNietzsche auch die Bildaufnahme von uns Dreien, trotz heftigem Widerstreben Paul Rées, der lebenslang einen krankhaften Abscheu vor der Wiedergabe seines Gesichts behielt. Nietzsche, in übermütiger Stimmung, bestand nicht nur darauf, sondern befaßte sich persönlich und eifrig mit dem Zustandekommen von den Einzelheiten - wie dem kleinen (zu klein geratenen!) Leiterwagen, sogar dem Kitsch des Fliederzweiges an der Peitsche usw." Viel später, kurz nach dem Zusammenbruch in Turin, zeichnet Nietzsche in der Baseler Nervenklinik ein kleines Bild - es stellt das Löwendenkmal in Luzern dar. Das berühmte Bild der beiden Männer, die vor den Karren Lous gespannt sind, zeigt Nietzsches Ironie - und die noch ungebrochene Fähigkeit, sich beobachtend zu verhalten. Das pikante Bild wird noch für eine gehörige Aufregung sorgen - Lou reicht es später in Bayreuth herum. Dort erfährt Nietzsches Schwester von dieser Photographie, welche in ihren Augen den Bruder lächerlich macht - hier hat der Hass gegen Lou seinen Ausgangspunkt!

Nietzsche scheint von der nochmaligen Ablehnung seines Antrags offensichtlich nicht in seinem Humor und seiner Person getroffen zu sein. Man verabredet, wie vereinbart, den Studienaufenthalt in Wien oder Paris in die Tat umzusetzen, bevor Nietzsche Mitte Mai nach Naumburg aufbricht, um die Druckvorlage der 'Fröhlichen Wissenschaft' fertig zu stellen. Weder die Schwester noch die Mutter werden in das zurückliegende noch in das geplante Abenteuer der 'Dreieinigkeit' eingeweiht. Erst knapp drei Monate später, im August 1882, sieht Nietzsche Lou Salomé in Tautenburg bei Jena wieder.

Wenn Du zum Weibe gehst...


zurück weiter