Nietzsche muß schon unmittelbar nach der Abreise Lous den Preis für diese erfüllte Zeit zahlen - seine gekränkte und schmollende Schwester läßt ihn allein nach Naumburg reisen, wo er sich den gewiß tendenziösen Berichten der Schwester an die Mutter zu stellen hat. Nach Elisabeths Darstellung ist die Mutter besonders entrüstet über das Peitschenbild und sie weigert sich, Lou Salomé im Naumburger Haus zu empfangen. Der Streit zwischen Mutter und Sohn eskaliert, so daß sie ihn eine "Schande für das Grab seines Vaters" nennt. Nietzsche verläßt daraufhin Naumburg und fährt nach Leipzig, um, wie er in einem Brief schreibt, die Bibliothek dort zu nutzen und zu arbeiten, bevor es wieder in die Ferne geht. Sowohl der Mutter wie auch der Schwester bietet er Versöhnung an - schließlich wird es aber doch mit der 'Naumburger Tugend', vor allem der Schwester, die er nun endlich als Todfeindin Lous erkennt, zum Bruch kommen. In einem im September 1882 entworfenen Brief formuliert Nietzsche scharf: "Diese Art von Seelen, wie Du eine hast, meine arme Schwester, mag ich nicht: und am wenigsten mag ich sie, wenn sie sich gar noch moralisch blähen, ich kenne eure Kleinlichkeit. - Ich ziehe es bei weitem vor, von Dir getadelt zu werden." Nietzsche organisiert im September den geplanten Aufenthalt der 'Dreieinigkeit' in Paris, erhält Nachricht von wohlwollenden Kritiken für 'Die fröhliche Wissenschaft' und wartet sehnsüchtig auf die Ankunft von Lou und Paul Rée. Diese treffen Anfang Oktober in Leipzig ein. Wohl verbringen die drei Freunde viel Zeit miteinander und auch der Plan des Studienaufenthalts in Paris wird beschworen, doch Lou und Rée haben längst andere wissenschaftliche und persönliche Absichten. Das enge philosophische Band unter den drei Freunden, an das Nietzsche irrtümlich die ganze Zeit glaubte, besteht nicht. Dies wird dem von seiner philosophischen Mission erfüllten Philosophen Nietzsche vermutlich erst in Leipzig klar. Zwar existieren in den philosophischen Überlegungen Berührungspunkte, aber Nietzsches Philosophie aus dem Geiste der Musik und der Gedanke der ewigen Wiederkehr blieb den beiden wissenschaftlich orientierten Freunden zuletzt doch völlig fremd. Der übermenschliche Anspruch, den Nietzsche seinem philosophischen Denken zuwies, war zuletzt doch nicht vermittelt worden. Lou blieb nüchtern und ließ sich weder von Nietzsches philosophischem noch männlichen Eros anstecken. Nachdem Nietzsche die Rolle des Geliebten aufgegeben hatte, mußte er nun verzweifelt erkennen, daß auch die Rolle eines Lehrers ein Trugbild gewesen war. Anfang November widmet er Lou ein Gedicht, das noch einmal das (eingebildete) Band zu knüpfen und gleichsam zu beschwören versucht: Freundin - sprach Columbus - traue Keinem Genueser mehr! Immer starrt er in das Blaue, Fernstes zieht ihn allzusehr! Wen er liebt, den lockt er gerne Weit hinaus in Raum und Zeit -- Über uns glänzt Stern bei Sterne, Um uns braust die Ewigkeit. Nietzsche erhält von Lou keine Antwort auf dieses Gedicht, auf dieses Angebot, gemeinsam auf weite Fahrt zu gehen. Diese ihrerseits versucht sich (psycho-) analytisch Aufschluß darüber zu geben, was die fundamentale philosophische Differenz zu Nietzsche ausmacht: "So wie die christliche Mystik (wie jede) gerade in ihrer höchsten Ekstase bei grobreligiöser Sinnlichkeit anlangt, so kann die idealste Liebe - gerade vermöge der großen Empfindungsaufschraubung in ihrer Idealität - wieder sinnlich werden. Ein unsympathischer Punkt, diese Rache des Menschlichen, - ich liebe nicht die Gefühle da, wo sie in ihrem Kreislauf wieder einmünden, denn das ist der Punkt des falschen Pathos, der verlorenen Wahrheit und Redlichkeit des Gefühls. Ist es dies, was mich N entfremdet?" Bereits im November scheint klar zu sein, daß es keine Pariser 'Dreieinigkeit' geben wird. Am 5. November 1882 kommt es zum Abschied von den Freunden, die wiederum nach Stibbe, dem Gut der Familie Rée reisen. Die Entzweiung der 'Dreieinigkeit' lastet unausgesprochen über dem (noch weiß es niemand der drei Freunde - endgültigen) Abschied. Zunächst hält Nietzsche für sich an Paris fest. An eine Bekannte dort schreibt er um den 7. November 1882: "Giebt es viel heiteren Himmel über Paris? Wissen Sie durch Zufall etwas von einem Zimmer, das für mich paßt? Es müsste ein todtenstill gelegenes, sehr einfaches Zimmer sein. (...) Oder rathen Sie mir ab, nach Paris zu kommen? Ist es kein Ort für Einsiedler, für Menschen, die still mit einem Lebenswerke herumgehen wollen und sich gar nicht um Politik und Gegenwart bekümmern?" Das Bild des Einsiedlers taucht auch in einem zweiten Brief nach Paris auf. An Overbeck schreibt er jedoch schon kurze Zeit später: "Paris steht immer zwar noch im Vordergrund, aber es ist kein Zweifel, daß mein Befinden unter dem Eindrucke dieses nordischen Himmels sich verschlechtert hat; und vielleicht habe ich nie so melancholische Stunden durchgemacht, wie in diesem Leipziger Herbst - obwohl ich doch Gründe genug um mich habe, guter Dinge zu sein. Genug, es gab manchen Tag, wo ich im Geiste über Basel wieder meerwärts reise." Nietzsche entscheidet sich schließlich doch, wieder nach Genua zu gehen. Mitte November verläßt er Deutschland Richtung Basel - mit einer Mischung aus Trauer, langsam aufkeimender Wut, dem Gefühl der Ausweglosigkeit, der Einsamkeit. Nietzsche wird in den nächsten Monaten nur langsam den Pfad aus dieser Dunkelheit finden - er wird nach langen Mühen zu dem nicht ganz falschen Ergebnis kommen, von Lou Salomé und Rée betrogen und belogen worden zu sein. Gleichzeitig steigert sich auch sein Ekel vor der selbstgerechten 'Naumburger Tugend', der er Mitschuld am Scheitern aller Hoffnungen gibt. Die widerstreitenden Gefühle Liebe, Haß und vor allem Selbsthaß werden in der ligurischen Einsamkeit sich abwechseln - Selbstmordgedanken tauchen auf, Nietzsche versucht sich mit Narkotika zu betäuben. Doch schließlich wird er den Stab gleich doppelt brechen - und die Beziehung sowohl zur doppelmoralischen Familie wie zu den treulosen Freunden Lou und Rée aufgeben. In einem Psychogramm, das als Entwurf erhalten ist, skizziert Nietzsche Lous Charakter: "Ich bin noch nie mit einem so armen M(enschen) umgegangen (...) ohne Dankbarkeit, ohne Scham gegen den Wohltäter untreu und jede Person im Verkehr mit jeder anderen preisgebend unfähig der Höflichkeit des Herzens abgeneigt gegen die Reinheit und Reinlichkeit der Seele (...) ohne Liebe zu Menschen(...)." In einem nie abgeschickten Briefentwurf an Georg Rée, 1883, schreibt Nietzsche die garnicht vornehmen Zeilen:" Dieses dürre schmutzige übelriechende Äffchen, mit ihren falschen Brüsten - Ein Verhängniß! Pardon!" Die intrigante Arbeit der Schwester, so zeigt sich, hat Früchte getragen. Nietzsches Urteil über Lou wird sich später wieder ins Positive wandeln - er wird versuchen, ihr eine bedeutende Rolle in seiner eigenen geistigen Entwicklung zu geben. Dazu wird er trauern, daß Lou, die befähigt war seine Gedanken zu verstehen, durch die Trennung hinter ihren geistige Möglichkeiten geblieben ist. Nietzsche, der Dichter seines Lebens, resümiert mit einer gewissen Dankbarkeit im Frühjahr 1884, ein Jahr nach dem Schnitt: "Von allen Bekanntschaften, die ich gemacht habe, ist eine der werthvollsten und ergebnisreichsten die mit L[ou] Erst seit diesem Verkehre war ich reif zu meinem Z[arathustra] (...) L[ou] ist das begabteste, nachdenkenste Geschöpf, das man sich denken kann, natürlich hat sie auch bedenkliche Eigenschaften. Auch ich habe solche. Indessen das Schöne an bedenklichen Eigenschaften ist, daß sie zu denken geben, wie der Name sagt. Natürlich nur für Denker." Weder Lou noch Rée wird er je in seinem Leben wiedersehen! Nietzsche wird aus dieser schlimmsten Lebenskrise wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen - es ist hohe Zeit für das Werk 'Also sprach Zarathustra'! |