Im Frühjahr 1885 korrigiert Friedrich Nietzsche mit seinem Gehilfen Köselitz in Venedig den vierten Teil des 'Zarathustra'. In der ersten Maiwoche 1885 veröffentlicht er dieses Werk als Privatdruck in einer Auflage von 45 Exemplaren. Einzig einige Freunde erhalten diesen vierten Teil des 'Zarathustra'. Man fragt sich, was nach einem solchen Werk philosophisch und künstlerisch noch kommen soll. Für Nietzsche ist sein 'Zarathustra' aber kein denkerischer Endpunkt, sondern gleichsam die Gründungsakte für ein viel radikaleres Vorhaben - Nietzsche plant nicht weniger als einen Generalangriff auf den Un-Geist seiner Zeit und noch weiter auf die religiösen, geistigen, moralischen und politischen Grundlagen des Abendlandes im Ganzen. Er kommt dabei ganz konkret mit einer zeitgemäßen Form des Un-Geistes in nähere Bekanntschaft, sogar engste Verwandtschaft. Bernhard Förster, ein Vertreter eines nationalistisch-biologistisch und kulturell begründeten radikalen Antisemitismus, heiratet Ende Mai 1885 Nietzsches Schwester Elisabeth. Diese Ideologie wurde wie der Nationalismus von breiten Kreisen des Bürgertums geteilt - sie war zeitgemäß. Auch Richard Wagner entblödete sich nicht, mit antisemitischen Vorurteilen zu hantieren, um Vorteile für sich zu erlangen. Antisemitismus war am Ende des 19. Jahrhunderts in bürgerlichen deutschen Kreisen gleichsam 'en vogue'. Nietzsche dagegen war zu keinem Zeitpunkt entschiedener Antisemit. Es darf jedoch nicht unterschlagen werden, daß es auch bei Nietzsche einige problematische Äußerungen gab (einmal in seiner Jugend, zum anderen während seiner intensiven Nähe zu Wagner)- insgesamt war er jedoch unzeitgemäß und zu klug, um ideologischen Denkweisen auf den Leim zu gehen. Wer etwas über Nietzsches Verhältnis zum Judentum erfahren will, dem empfehle ich, einmal mit unserer Suchfunktion in seinen Texten auf Spurensuche zu gehen. Über seinen Schwager schreibt Nietzsche im Oktober 1885 an Overbeck: "Es giebt ja Gründe genug, im Allgemeinen den Herren Antisemiten nicht über den Weg zu trauen. Übrigens ist ihre Sache viel populärer als man in der Ferne ahnt, namentlich scheint mir der ganze preußische Adel für dieselbe zu schwärmen." Alle späteren Vereinnahmungen entbehren der Grundlage - und haben ihre Wurzel im Antisemitismus, den die Schwester Elisabeth ihrem Bruder unterschiebt. Diese infame Unterstellung, der von Förster intensiv geschulten Antisemitin Elisabeth Förster-Nietzsche, hat dem Philosophen Nietzsche am meisten geschadet. Nietzsche nennt sich in einen Brief an die Schwester vom 7. Februar 1886 selbst dagegen dezidiert einen "unverbesserlichen Europäer und Anti-Antisemiten", weil er den ideologisch seichten und von philiströsen Ressentiments aufgeladenen Grund des Antisemitismus ohne großen denkerischen Aufwand sofort durchschaut. In einem seiner Abschiedszettel aus Turin in den ersten Januartagen 1889 an den Freund Overbeck schreibt Nietzsche: "Ich lasse eben alle Antisemiten erschießen." Nietzsche denkt in seinen Schriften oft über das Judentum und die Bedeutung der Juden für die deutsche Kultur nach - insbesondere die Figur des Priesters Paulus thematisiert er immer wieder - auch macht er sich Gedanken über einzelne jüdische Bekannte in seinem Umkreis. Nietzsche wertet häufig den "groben Deutschen" in Vergleich zum "eindeutig vornehmeren Juden" ab. Aus Nietzsche etwas für eine deutschtümelnde, antisemitische Ideologie zu holen, gehört zu den Rätseln der Rezeptionsgeschichte. Der intensive Briefwechsel mit dem dänischen Schriftsteller Georg Brandes in seinem letzten bewußten Lebensjahr zeigt nur ein Beispiel seiner Vorbehaltlosigkeit - als "Fragetier" denkt er naturgemäß trotzdem darüber nach, warum er ausgerechnet von Juden so geschätzt wird. Nietzsche ist nicht anwesend bei der Hochzeit seiner Schwester, die symbolisch an Wagners Geburtstag gefeiert wird. Erst im Oktober wird er seinen Schwager kennen lernen und auch seine Schwester am 28. Oktober 1885 zum letzten Mal vor seiner Umnachtung treffen. Bernhard Förster wandert mit Nietzsches Schwester nach Paraguay aus, um dort eine sogenannte rein arische Kolonie 'Nueva Germania' zu gründen. Nietzsche rät ihr, natürlich nicht ohne Eigennutz, von diesem Projekt ab, denn "...gerade als Gattin des Dr.Förster, der, wie ich beim Lesen seines Erziehungs-Aufsatzes wieder einmal empfand, eigentlich zum Erziehungsdirektor einer Art Schnepfenthal eine natürliche Mission hat - und nicht, verzeihe es Deinem Bruder, zum Agitator in einer zu drei Viertel schlimmen und schmutzigen Bewegung..." solle sie in Deutschland bleiben. Nietzsche fühlt sich nun noch einsamer. Der Schwager Bernhard Förster wird später häufig Nietzsche aus Paraguay um Geld angehen, das ihm dieser jedoch aus verständlichen Gründen nicht geben wird. 1893, nach sieben Jahren, wird das Projekt der Kolonie in Paraguay scheitern - der Arier Bernhard Förster begeht Selbstmord, um sich so seinen Gläubigern zu entziehen und die 'neue Germanin' Elisabeth Förster, die sich alsbald Förster - Nietzsche nennen wird, beginnt ihr infames Treiben mit Nietzsches Person und Werk. |